Weniger Wut tut gut
Worum es hier geht: Es geht um Wut in Alltagssituationen. Wut, die stark eskaliert und das Leben unnötig schwer macht. Ich betone, es geht hier nicht um schweren Betrug, Körperverletzung, kriminelle Handlungen etc. Es geht um die lieben Kleinigkeiten, wer macht mehr im Haushalt, wer hält sich wie an Absprachen, wer legt wie Regeln aus, eben das ganz normale Zusammenleben. Es geht auch nicht um Partner, die einen in den Wahnsinn treiben. Die gibt es, aber um die geht es hier nicht.
Das Wichtigste zuerst:
Ich möchte Sie wahnsinnig gerne dafür gewinnen, wenn Sie ein Wutproblem haben, setzten Sie sich damit auseinander! Arbeiten Sie daran! Und letztlich: Hören Sie auf damit!
Warum?
1. Weil Wut (meistens) keine Probleme löst. Wut versetzt sowohl Sie als auch Ihren Partner in einen "antikreativen" Zustand, in dem alle Aufmerksamkeit der Wut gilt. Das Unbewusste kann keine kreativen Lösungen entwickeln. Anstatt dass sich etwas ändert, sind beide - unter Umständen für Wochen - damit beschäftigt, die zugefügten Verletzungen zu heilen.
2. Wut ist ein echter Beziehungskiller und Lebensvergifter: Anstatt schöne Momente miteindander zu genießen, hegen Sie Ressentiments und leiden unter den Schmerzen der Verletzungen, die Sie sich einender zugefügt haben.
Haben Sie das verdient? Das ist doch wirklich schade, dass zwei Menschen, die sich eigentlich mögen und schätzen, die in vielem ein gutes Team bilden, die soviele wertvolle Fähigkeiten haben, soviel Leid erfahren müssen.
3. Mit Ihrer Wut schützen Sie Ihren Partner vor Veränderung. Die Wut nimmt alle Energie und Aufmerksamkeit für sich in Anspruch. Anstatt an dem Problem und seiner Veränderung zu arbeiten, geht es nun darum, wer schuld ist, wer recht hat und wer wie ist. Aber nun blockiert sie Veränderung.
Im günstigeren Fall sind die Auslöser für die Wut tatsächlich "nur" stressige Lebensumstände, die Wut entzündet sich gewohnheitsmäßig an Lappalien.
Manchmal liegen hinter der Wut tiefere Auslöser, zum Beispiel ungünstige Beziehungsmuster wie Vermeidung von Nähe versus Hunger nach Nähe.
Die Wut verhindert in diesem Fall, dass so eine Dynamik aufgedeckt und bearbeitet werden kann.
4. Wut macht süchtig. Wut löst intensive Emotionen aus, Wut ist nicht nur ein Kampf-Gefühl, sie trägt auch schon den Sieg in sich. Aus der schwer auszuhaltenden Hilflosigkeit und Verzweiflung führt uns die Wut in ein Gefühl von Stärke und Kontrolle, sie gibt uns ein Schwert in die Hand und sorgt für ausgleichende Gerechtigkeit.
5. Süchtige Wut ist eine unglückliche Lernerfahrung. (Wie alle Süchte) Vielleicht war es so: Die Wut war einmal ein guter Freund. Es gab eine Zeit, in der Sie immer wieder verletzt wurden. Sie haben gelitten wie ein Hund. Es war wirklich schlimm. Es waren schwere Angriffe auf Ihre Würde und Ihre Selbstachtung. Und eines Tages kam die Wut: Das mache ich nicht mehr mit! Und hier ist jetzt Schluss! Und sofort ging es Ihnen besser. Sie fühlten sich nicht mehr klein und ausgeliefert. Sondern stark und handlungsfähig. Wut wurde zu einer wertvollen Ressource, eine gute Coping-Strategie.
Information plus Emotion = Lernen
Eigentlich wollte die Wut Sie vor allem schützen - vor Angriffen, vor Abwertungen, vor Schmerzen, vor dem Gefühl, nichts wert zu sein, nicht geliebt zu werden. Eine Weile zeigte sie sich nur selten, in erträglichem Ausmaß. Aber dann wurde das Leben stressiger, Sie wurden Eltern, mussten Beruf, Partnerschaft und Beziehung unter einen Hut bringen. Da war doch diese mächtige Copingstrategie ... die Wut kam immer häufiger, sie bewirkte noch immer ein Gefühl von Stärke, aber sie hat auch schlimme Nebenwirkungen, sie verstärkt genau dies: Ressentiments statt Liebe, Vorwürfe statt Wertschätzung.
Vielleicht sind Sie eine Person, die schnell lernt, vielleicht war die Übermacht einfach zu groß und das war das einzige Mittel das zur Verfügung stand. Oder beides. Wir wissen es nicht. Ist auch nicht so wichtig.
Wichtig ist: Wut ist kein Charakterzug! Sie ist das Ergebnis einer ungünstigen Lernerfahrung eines reagiblen Nervensystems.
6. Wut ist nicht gesund und bringt Ihr Nervensystem in Not. Permanentes Anfluten von Gehirn und Körper mit Stresshormonen macht auf Dauer krank. Sie werden anfällig für psychische Leiden, wie Depression und Ihr Immunsystem wird kompromittiert.
Der erste Schritt ist die Entscheidung: Ich höre damit auf und suche nach anderen Coping - Strategien. Der Preis der Wut ist zu hoch. Niemand sagt dass es einfach ist. Und seien Sie trotzdem nett zu sich. Ach ja - und machen Sie sich an die Arbeit, die nötigen Dinge in der Beziehung zu verändern. Das haben Sie verdient. Sie werden nämlich jetzt damit anfangen.
Zum Thema passt auch dieser Artikel: The Silent Treatment (englisch)
Ich unterstütze Sie gerne.