Weniger Wut tut gut
Worum es hier geht: Es geht um Wut als Beziehungskomplikation in Alltagssituationen. Wut, die stark eskaliert und das Leben unnötig schwer macht. Situationen, die vom anderen womöglich als normale Handlungen wahrgenommen werden, die in dir aber ein starkes Gefühl von Ungerechtigkeit, Schmerz, sich schlecht behandelt fühlen, sich ungeliebt fühlen, auslösen. Ich betone, es geht hier nicht um schweren Betrug, Körperverletzung, kriminelle Handlungen etc.. Es geht auch nicht um Partner, die einen in den Wahnsinn treiben. Die gibt es, aber um die geht es hier nicht.
Das Wichtigste zuerst:
Ich möchte dich wahnsinnig gerne dafür gewinnen, wenn du ein Wutproblem hast, setzte dich damit auseinander! Arbeite daran! Und letztlich: Höre auf damit!
Warum?
1. Weil Wut (meistens) keine Probleme löst. "Dampf ablassen" hilft nicht, um sich hinterher ruhiger zu fühlen, im Gegenteil, Wut ausleben führt dazu, sich noch mehr aufzuregen. Das hat eine Meta-Analyse von 154 Studien zum Thema Wut ergeben.
Wut versetzt sowohl dich als auch deinen Partner in einen "antikreativen" Zustand, in dem alle Aufmerksamkeit der Wut gilt. Das Unbewusste kann keine kreativen Lösungen entwickeln. Anstatt dass sich etwas ändert, sind beide - unter Umständen für Wochen - damit beschäftigt, die zugefügten Verletzungen zu heilen.
2. Wut ist ein echter Beziehungskiller und Lebensvergifter: Anstatt schöne Momente miteindander zu genießen, hegst du Ressentiments und leidest unter den Schmerzen der Verletzungen, die ihr einander zugefügt habt.
Hast du das verdient? Das ist doch wirklich schade, dass zwei Menschen, die sich eigentlich mögen und schätzen, die in vielem ein gutes Team bilden, die soviele wertvolle Fähigkeiten haben, soviel Leid erfahren müssen.
3. Mit deiner Wut schützt du deinen Partner vor Veränderung. Die Wut nimmt alle Energie und Aufmerksamkeit für sich in Anspruch. Anstatt an dem Problem und seiner Veränderung zu arbeiten, geht es nun darum, wer schuld ist, wer recht hat und wer wie ist. Aber nun blockiert sie Veränderung.
Im günstigeren Fall sind die Auslöser für die Wut tatsächlich "nur" stressige Lebensumstände, die Wut entzündet sich gewohnheitsmäßig an Lappalien.
Manchmal liegen hinter der Wut tiefere Auslöser, zum Beispiel ungünstige Beziehungsmuster wie Vermeidung von Nähe des einen aus Angst vor Verletzung versus Hunger nach Nähe des anderen aus Angst davor, verlassen zu werden.
Die Wut verhindert in diesem Fall, dass so eine Dynamik aufgedeckt und bearbeitet werden kann.
4. Wut macht süchtig. Wut löst intensive Emotionen aus, Wut ist nicht nur ein Kampf-Gefühl, sie trägt auch schon den Sieg in sich. Aus der schwer auszuhaltenden Hilflosigkeit und Verzweiflung führt uns die Wut in ein Gefühl von Stärke und Kontrolle, sie gibt uns ein Schwert in die Hand und sorgt für ausgleichende Gerechtigkeit.
5. Süchtige Wut ist eine unglückliche Lernerfahrung. (Wie alle Süchte) Vielleicht war es so: Die Wut war einmal eine gute Freundin. Es gab eine Zeit, in der du immer wieder verletzt wurdest. Du hast gelitten wie ein Hund. Es war wirklich schlimm. Es waren schwere Angriffe auf deine Würde und deine Selbstachtung. Und eines Tages kam die Wut: Das mache ich nicht mehr mit! Und hier ist jetzt Schluss! Und sofort ging es dir besser. Du fühltest dich nicht mehr klein und ausgeliefert. Sondern stark und handlungsfähig. Wut wurde zu deiner Freundin, eine wertvolle Ressource, eine gute Coping-Strategie. Aber jetzt hat sie dich fest im Griff.
Eigentlich wollte die Wut dich vor allem schützen - vor Angriffen, vor Abwertungen, vor Schmerzen, vor dem Gefühl, nichts wert zu sein, nicht geliebt zu werden. Eine Weile zeigte sie sich nur selten, in erträglichem Ausmaß. Aber dann wurde das Leben stressiger, vielleicht kamen Kinder dazu, du musstest Beruf und Beziehung unter einen Hut bringen. Da war doch diese mächtige Copingstrategie ... die Wut kam immer häufiger, sie bewirkte noch immer ein Gefühl von Stärke, aber sie hat auch schlimme Nebenwirkungen, sie verstärkt genau dies: Ressentiments statt Liebe, Vorwürfe statt Wertschätzung.
Information plus Emotion = Lernen: Vielleicht bist du eine Person, die schnell lernt. Vielleicht war die Übermacht einfach zu groß und das war das einzige Mittel das dir zur Verfügung stand. Oder beides. Wir wissen es nicht. Ist auch nicht so wichtig.
Wichtig ist: Wut ist kein Charakterzug! Sie ist das Ergebnis einer ungünstigen Lernerfahrung eines reagiblen Nervensystems.
6. Wut ist nicht gesund und bringt dein Nervensystem in Not. Permanentes Anfluten von Gehirn und Körper mit Stresshormonen macht auf Dauer krank. Du wirst anfällig für psychische Leiden, wie Depression und dein Immunsystem wird kompromittiert.
Gesunder Umgang mit Wut und Ärger
Alle Aktivitäten, die zu mehr Resilienz deines Nervensystems führen, wie Muskeltraining (siehe Blogbeitrag), Meditation, Yoga, Natur, Spaß, und vor allem eine sichere Beziehung helfen.
Alles was gegen Stress hilft, hilft auch gegen Ärger.
Ziel ist dabei, die physiologische Erregung runter zu regulieren. Es geht nicht darum, "alles runterzuschlucken". Wütendes oder verletztes Schweigen, wie beim sogenannten "Silent treatment", hat einen ähnlichen Effekt. Wie du eine Pause zwischen deine Emotion und deine Reaktion einlegen kannst, um dann über das Thema, um das es gerade geht, zu sprechen, kannst du in meinem Blogartikel dazu nachlesen.
Der erste Schritt ist die Entscheidung: Ich höre damit auf und suche nach anderen Coping - Strategien. Der Preis der Wut ist zu hoch. Niemand sagt dass es einfach ist. Und sei trotzdem nett zu dir. Ach ja - und mach' dich an die Arbeit, die nötigen Dinge in deiner Beziehung zu verändern. Das hast du verdient. Du wirst nämlich jetzt damit anfangen.
Ich unterstütze dich gerne.