Selbstsicherheit wird überbewertet
"Du glaubst gar nicht an dich!" sagte die Freundin. Das überraschte mich ein bisschen. Ich fand ich hatte einfach nur eine realistische Selbsteinschätzung in Bezug auf die Dinge die ich konnte und die, die ich noch lernen wollte, wiedergegeben. Muss man denn immmer perfekt alles können oder zumindest so tun als ob?
Kann man nicht in einigen Dingen gut sein und es ist gut genug? Und gleichzeitig anerkennen, dass es in diesem oder jenem Bereich eben Menschen gibt, von denen man lernen will? Naja, also doch nicht gut genug also anders gefragt: Darf man in ausgewählten Bereichen nicht auch etwas perfektionistisch sein, Ansprüche haben, die man (noch) nicht erfüllt und das ist Okay?
Man kann. Und es spricht einiges dafür, dass dies sogar gesünder ist für die Psyche. Und für Beziehungen. Unsere Gesellschaft fördert diese Haltung jedoch nicht, im Gegenteil:
"We don't live in a relationship cherishing culture, we live in a patriarchal narcissistic coadictive culture."
sagt der international anerkannte Paar- und Männertherapeut Terry Real.
Das Konzept "fake it till you make it" kann als Anschub-Mechanismus funktionieren, das so "tun als ob" kann Punkte bringen in Hinsicht auf Anerkennung und Respekt. Wenn man Glück hat, entwickelt sich Selbstvertrauen über die Anerkennung, die man bekommt. Aber vielleicht auch nicht und es bleibt die ängstliche Befürchtung, was wenn man mich durchschaut, das verzagte Gefühl, "in Wirklichkeit" weniger zu sein als das was man glaubt, sein zu müssen oder das, von dem man meint, andere glaubten was man sein müsse.
Besser hilft "face it till you make it": Sich bewusst mental oder physisch der jeweiligen Situation zu stellen, die uns gerade herausfordert, bis unser Organismus gelernt hat, wie es funktioniert.
Sebstvertrauen fühlt sich gut an und gibt einem das Gefühl von Kontrolle. Wir leben in einer Kultur, in der Selbstvertrauen und Selbstsicherheit einen hohen Stellenwert haben. Eine tückische Folge aus der Überbewertung von Selbstvertrauen unserer Zeit ist die Ausbreitung und Honorierung narzisstischer Verhaltensweisen. 15.000 College Studenten hat der Forscher Jean Twenge untersucht zwischen den Jahren 1987 und 2007. Er konnte einen enormen Anstieg an Personen mit narzisstischen Zügen verzeichnen im letzten Jahrzehnt. Übersteigertes Selbstvertrauen und damit einhergehende maßlose Überschätzung der eigenen Fähigkeiten kann fatale Folgen nach sich ziehen, aber auch auf der psychologischen Ebene gibt es Risiken. Selbstvertrauen ist in der Leistungsgesellschaft damit gekoppelt, besser zu sein als die anderen. Überdurchschnittlich. Durchschnitt zu sein ist eine Beleidigung.
Besser sein zu müssen ist anstrengend und es kommt immer irgendwann der Punkt, an dem man nicht auf der Höhe ist. Dann kann es scharfe Selbstkritik geben. Es droht die Gefahr einer emotionalen Achterbahn, von überblähtem Selbstbewusstsein zu beißendem Selbsthass. Dies kann zu vermehrter Neigung zu Ängsten führen und in einer Depression enden.
Terry Real sagt, Grandiosität und Scham sind zwei Seiten der gleichen Medaille, bei Grandiosität geht es um Überlegenheit - und Verachtung der Unterlegenen. Wenn sich der Strahl dieser Emotion gegen mich selbst richtet, ist es Scham und Selbstverachtung.
Eine gute Alternative ist die Entwicklung von Selbst-Mitgefühl, Self-Compassion, sagt die US-amerikanische Wissenschftlerin Dr. Kristin Neff: akzeptieren, dass man als nicht perfekter Mensch in einer nicht perfekten Welt lebt. Man muss nicht besser sein, als die anderen. Der Selbstwert ist auf diese Weise entkoppelt von der Leistung. Gleichzeitig ebnet self-compassion den Weg zu eigener Entwicklung und Wachstum. Wer nicht perfekt sein muss, kann Fehler zulassen, kann freundlich mit sich umgehen. Und kann auch zu anderen netter sein. Hat weniger Konkurrenzdruck. Die auf diese Weise gewonnene emotionale Sicherheit hilft, zu den eigenen Schwächen zu stehen und zu erkennen, was wir ändern müssen, wenn es mal nicht so gut läuft. Auch schmerzvolle Gefühle können wertfrei wahr- und angenommen werden, ohne dass sie unterdrückt werden müssen oder in einer privaten Drama-Oper ausagiert werden müssen. Self-compassion ist ein guter Schutz gegen Ängste und Depressionen, da der Selbstwert unabhängiger von einer Wertung von außen ist, auch das konnte Neff in einem Experiment nachweisen. Sogar eine höhere Resilienz gegen post-traumatische Belastungsstörungen (PTSD) scheint damit verbunden zu sein: Dr. Neff untersuchte Kriegsveteranen, von denen 42% Symptome von PTSD zeigten. Je höher der Grad an Selbst-Mitgefühl desto weniger schwerwiegend waren die Symptome, unter denen sie litten.
Bleibt noch die Frage, wie mehr Selbst-Mitgefühl entwickelt werden kann. Neff empfiehlt dazu, sich der inneren Stimme bewusst zu werden, die uns in unserem täglichen Tun begleitet. Insbesondere, wenn diese sehr kritisch wird, sollten wir sie korrigieren. Dazu stelle man sich vor, wie man mit einem lieben Freund oder Familienangehörigen in ähnlicher Situation spreche. Denn, wenn es nicht so gut läuft, was brauchen wir? Einen Feind oder einen Verbündeten? Ein häufiger Fehler dabei ist, den inneren Kritiker als Feind zu verdammen. Dann kritisieren wir uns dafür, dass wir uns kritisieren und sind keinen Schritt weiter. Wir müssen lernen, mit dem inneren Kritiker Frieden zu schließen.
Aber wie? Jane Pike, Mentaltrainerin aus Neuseeland für von Ängsten und Stress Geplagten Frauen, nennt den inneren Kritiker "The Itty Bitty Shitty Committee", wir sollten ihnen danken, sagt sie, denn im Grunde will uns das Kommittee nur schützen. Leider ist es sehr konservativ und verwendet schwarze Pädagogik. Die Art des Schutzes richtet mehr Schaden als Nutzen an. Deshalb sollten wir es freundlich aber bestimmt in seine Schranken verweisen.