Gefährliche Empathie
Wie bitte? Empathie kann gefährlich sein? Ganz richtig - zu diesem Schluss kommt der Wissenschaftler Paul Bloom, Professor für Psychologie in Yale und Autor des Buches: Against Empathy. The Case for Rational Compassion.
Doch erst mal der Reihe nach. Was genau ist Empathie eigentlich? Wenn Paul Bloom von Empathie spricht, meint er "ich fühle das, was ein anderer Mensch fühlt", affektive Empathie sozusagen.
Affektive Empathie
Wenn das Thema Empathie ins Spiel kommt, bezieht sich ein Paartherapeut oder Psychotherapeut auf diese Form. Mehr Verständnis und Einfühlung sollen sich die Partner einander entgegenbringen, mitfühlendes Verhalten soll zu einer liebevolleren Beziehung führen und die Bande zwischen den Partnern stärken. Das stimmt auch. Sie kann zusammenschweißen und Quelle der gemeinsamen Freude sein. Einerseits. Steckt aber beispielsweise einer der Partner in einer tiefen seelischen oder körperlichen Krise, kann sich zuviel davon belastend auswirken.
Bloom zeigt die Schattenseiten der affektiven Empathie auf, - der Tunnelblick verhindert, die komplexe Wirklichkeit zu überblicken, er hält affektive Empathie für ungeeignet, um langfristige Lösungsstrategien zu entwickeln, wenn es darum geht anderen Hilfe zu leisten.
Wenn uns die Not anderer gefangen nimmt, ist es schwierig, die Situation zu überblicken, argumentiert er. Zu sehr nehmen wir belastende negative Gefühle wie Hoffnungslosigkeit, Schmerz, Leid oder Trauer in uns auf, die Gefühlsflut droht unsere Handlungsfähigkeit zu blockieren.
Affektive Empathie führt zu empathischem Stress, wie stark dieser ist, hängt von der Sensibilität der Person ab, den Umständen und wie schlecht es dem Gegenüber geht. Dauert die belastende Situation an, beispielsweise in engen Beziehungen zu depressiven oder pflegebedürftigen Familienangehörigen, führt dies im Extremfall zu emotionaler Erschöpfung und Burnout.
Empathischer Stress führt überraschenderweise zu weniger Hilfsbereitschaft statt mehr bis hin zu Agressionen, wie in einer Studie gezeigt werden konnte.
Wie affektive Empathie auf die Stimmung drückt, zeigte ein Experiment von Tania Singer vom Max Plank Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften.
Eine Gruppe Probanden wurde wenige Wochen für affektive Empathie sensibilisiert. Die Vergleichsgruppe wurde angeleitet, kognitive Empathie in Verbindung mit einer freundlichen Haltung zu praktizieren.
Anschließend wurde die Reaktion der beiden Gruppen auf Filme mit notleidenden Menschen beobachtet. Tatsächlich litten die emotional sensibilisierten Versuchspersonen stärker mit, und dies führte zu einer negativeren Stimmung. Die Vergleichsgruppe war besser im Stande, lösungsorientiert zu denken.
Es gibt noch eine weitere Gefahr, von der Bloom glaubt, sie gehe vom "Empathie-Reflex" aus: Auch Gruppen und Gruppenzugehörigkeit funktionieren auf diese Weise. Genau hier liegt allerdings auch ein Pferdefuß. Da das Wesen der affektiven Empathie auf emotionalen Impulsen beruht und nicht auf reflektierter Meinungsbildung, ist sie genau dies: unreflektiert. Eine empathisch stark sensibilisierte Person, die die kognitive Seite vernachlässigt, kann über diese Art der Empathie leicht manipuliert werden. Bedeutsame Einzelne, Gruppenmeinungen oder Medien können mit Bildern, reißerischen Aufmachern und (pseudo-) moralischen Appellen einseitige emotionale Informationen vermitteln, der 'empathieanfällige' Menschen erliegen. Dieser Mechanismus wird nicht nur von autoritären Staaten gerne genutzt zur Sicherung der Machthaber, auch populistische Gruppierungen versuchen besonders über die Klaviatur der Gefühle Sympatisanten zu gewinnen.
Meist geht es dabei um die Ausgrenzung anderer, Andersdenkender, Minderheiten. Die Empathie gilt der Gruppe der starken Mehrheit, nicht den Leidenden. Eine andere Sichtweise besagt daher, dass das Problem dabei weniger die "Empathie" ist, sondern mit der Dynamik des autoritären Systems zusammenhängt.
Die andere Form von Empathie
Die gute Nachricht ist: Es gibt noch eine andere Form der Empathie, die weniger belastend wirkt und doch Hilfsbereitschaft fördert und ermöglicht, die sogenannte kognitive Empathie.
Kognitive Empathie bezeichnet eine andere Art, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen. Dabei geht es weniger um Fühlen als um gedankliches Erfassen von Absichten, Gefühlen und Motivationen anderer. Diese Art der Wahrnehmung unterscheidet sich auch neurophysiologisch: Während das affektive Einfühlen mit der Amygdala verknüpft ist, ist die kognitive Empathie im präfrontalen Kortex verortet. Im Gegensatz zum Einfühlen kommt es nicht zur eigenen Identifizierung mit dem Gegenüber, stattdessen nimmt die kognitiv empathische Person eine Haltung des freundlichen Annehmen ein.
Wann affektive Empathie sinnvoll ist
Die große Stärke der affektiven Empathie besteht darin, dass über die Identifikation mit dem Gegenüber und dem emotionalen Einfühlen eine größere Nähe zu einem Partner entsteht, die Beziehung wird gestärkt, Oxytocin, das Beziehungshormon wird ausgeschüttet. Für die Pflege einer guten Beziehung ist es sehr wichtig, die Gefühle und Bedürfnisse einer Person aus deren Perspektive zu verstehen. Dadurch wird emotionale Nähe geschaffen und aufrechterhalten. Nur so sind wir in der Lage zu erkennen, was für den anderen wichtig ist, und können uns entsprechend verhalten. Menschen, die lange unter sozialer Isolation leiden, verlieren das Gefühl, andere richtig einzuschätzen und deren Verhalten und Bedürfnisse richtig zu interpretieren. Richtig schwierig wird es für jene, die Probleme haben, Ihre eigenen Gefühle wahrzunehmen, zu verstehen und adäquat zu vermitteln - denn dann ist auch das Erkennen von Gefühlszuständen anderer stark eingeschränkt. Dies betrifft z.Bsp. Menschen, die in einer unsicheren Bindung aufgewachsen sind und dieses Bindungsmuster beibehalten haben.
Manchmal reicht positiver sozialer Kontakt, manchmal ist die Unterstützung durch Psychotherapie hilfreich, um bald wieder zu mehr empathischer Eloquenz zu finden.
Dosierung ist alles
Was lernen wir daraus?
Beide Formen der Empathie können aktiv trainiert werden. Und beide sind wichtig. Wir müssen uns jedoch je nach Situation entscheiden, was günstiger ist. So wie enfremdete Partner durch Training in einer Paartherapie wieder mehr emotionale Einfühlung und Mitschwingen in der Beziehung lernen können, ist es möglich, dass emotional hochsensible Personen lernen, ihr Mitgefühl zu dosieren zugunsten einer besseren Psychohygiene, mehr Handlungsfähigkeit und besser überlegten Lösungen.